Weltwoche, 16.10.

Wie die Schweizer ihren Goldschatz an die Amerikaner verloren. Und wie die Verantwortlichen dabei die Bundesverfassung umbogen und das Völkerrecht verletzten. Bleibt die Frage: Warum?
Von Markus Schär

«Eine geradezu hysterische Feindschaft gegen den Goldstandard verbindet Staatsinterventionisten aller Art. Sie spüren offenbar klarer und sensibler als viele Befürworter der freien Marktwirtschaft, dass Gold und wirtschaftliche Freiheit untrennbar sind.»

Alan Greenspan, 1966, Eine harmlose Bemerkung lässt den Blogger Markus M. Müller aufhorchen. Die dreissig Prozent des Goldbestandes der Schweizerischen Nationalbank, die im Ausland gelagert sind, seien auf zwei Länder verteilt, schreibt die SNB in ihrem Papier «Gold-Initiative – häufig gestellte Fragen», das sie zur Volksabstimmung vom 30. November auf ihrer Website aufgeschaltet hat: «20 Prozent der Goldreserven werden bei der Zentralbank in England gelagert, 10 Prozent bei der Zentralbank von Kanada.» Seit über zehn Jahren halte die SNB ihr Gold ausschliesslich in diesen beiden Ländern – also nicht (mehr) im mythenumrankten Fort Knox in Kentucky: «Die früher bei der Fed in den USA gelagerten Bestände wurden anlässlich der Goldverkäufe abgebaut.»

Markus M. Müller ist ein gold bug. Die Missionare für die Golddeckung von Währungen neigen zu Verschwörungstheorien – allerdings zeichnen sich diese, im Gegensatz zu anderen Theorien zum Gang oder Untergang der Welt, dadurch aus, dass die tatsächlichen Ereignisse perfekt ins Bild passen. Der Blogger kann denn auch zeigen, weshalb die Schweizer 1997 plötzlich die Hälfte ihres Goldes für «überschüssig» erklärten und eine mit dem Verkaufserlös zu äufnende Solidaritätsstiftung erfanden, 1999 die Bundesverfassung anpassten und ab 2000 drei Jahre lang täglich eine Tonne Gold zum Schleuderpreis abstiessen.
Dafür braucht der Goldgläubige keine blühende Fantasie, sondern lediglich das Referat von einem, der es wissen muss: Im Mai 2005 hielt Philipp M. Hildebrand, damals Mitglied des Direktoriums der SNB, am Institute for International Economics in Washington einen Vortrag über «die Goldverkäufe der SNB – Erfahrungen und Erkenntnisse». Er erklärte seinen Zuhörern: «Es brauchte mehrere Änderungen der Verfassung und des Gesetzes, um den Entschluss zum Abstossen des überschüssigen Goldes in Verkäufe umzusetzen.»
Fürwahr: Am 17. Mai 1992 stimmen die Schweizer über den Beitritt zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds (IWF) ab, also zu den Institutionen, die 1944 im amerikanischen Bretton Woods geschaffen worden sind. Das Volk spricht sich mit 56 Prozent dafür aus. Der Bundesrat ist von diesem Ausbruch aus dem Isolationismus so euphorisiert, dass er am nächsten Tag das Gesuch zum Beitritt zur EWG beschliesst und damit die Abstimmung über den EWR-Beitritt ein halbes Jahr später verhaut.
Die Schweiz gehört jetzt offiziell zur neuen Weltordnung mit dem Washington Consensus, der nach dem Fall der Berliner Mauer rund um den Globus vorschreibt, wie Staaten wirtschaftspolitisch zu führen sind. Da gibt es nur ein kleines Problem: Präsident Franklin D. Roosevelt verbot den Amerikanern schon 1934 den privaten Besitz von Gold, damit er mit dem Dollar machen konnte, was er wollte. Und die Amerikaner untersagten 1944 in Bretton Woods den anderen Staaten, ihre Währungsreserven in Gold zu halten. Nur der US-Dollar blieb durch Gold gedeckt, die anderen Staaten mussten ihre Währungen an den Dollar binden und konnten ihre Dollars bei der amerikanischen Federal Reserve (Fed), einer Zentralbank in Privatbesitz, in Gold umtauschen. Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft schrieb aber 1992 immer noch fest, die Noten der Nationalbank müssten «durch Gold und kurzfristige Guthaben gedeckt sein».

Begehrliche Blicke

In diesem Jahr schafft Bill Clinton die Wahl ins Weisse Haus. Der smarte US-Präsident sorgt zusammen mit seinem ebenso smarten Finanzminister, dem Goldman-Sachs-Banker Robert Rubin, für rosige Jahre, während deren die Börsen fast stetig steigen, weil die Zinsen immer weiter sinken. Das erreichen die Magier, wie die gold bugsargwöhnen, indem sie den Goldpreis manipulieren. Die stark ausgeweitete Geldmenge müsste eigentlich zu Inflation führen, also auch zu steigenden Zinsen, dem Gift für die Börsen. Um das zu verhindern, drückt die Fed den Goldpreis, der die Inflation anzeigen würde, indem sie Gold verkauft – auch Gold, das ihr gar nicht gehört.
Wie ist das möglich? Noch 1999 hält die SNB 2590 Tonnen Gold, die Stellung der Schweiz ist, wie Philipp Hildebrand in seinem Referat sagt, «unter den G-10-Staaten extrem»: Sie sitzt pro Kopf der Bevölkerung auf fünfmal so viel Gold wie die zweitplatzierten Niederlande und auf zwölfmal so viel wie die USA. Die SNB darf es zwar nicht verkaufen, wohl aber verleihen, seit 1997 sogar gemäss Gesetz. So handeln vor allem amerikanische Banken mit Gold, das den Schweizern gehört. Gegen Ende der neunziger Jahre sind aber die Amerikaner so short, dass es gefährlich wird: Wenn sie all das verkaufte Gold tatsächlich liefern müssen, steigt der Goldpreis explosiv – ein Desaster droht.
Deshalb werfen die Amerikaner begehrliche Blicke in die Schweiz beziehungsweise auf das Schweizer Gold, das in den USA gelagert ist. Und die Schweizer machen, nach ein bisschen Druck wegen der nachrichtenlosen Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg, bereitwillig mit. Noch 1996 beteuert die Nationalbank, es gebe «keinerlei Absicht, die Schweizer Goldreserven zu verleihen oder zu verkaufen». Nur wenige Monate später aber erklärt sie mehr als die Hälfte ihres Goldes, 1400 Tonnen mit einem Marktwert von 24 Milliarden Franken, für «überschüssig». Nationalbankchef Hans Meyer, ein knappes Jahr im hohen Amt, schlägt Bundespräsident Arnold Koller (CVP) vor, mit einer Spende von 500 Tonnen eine Solidaritätsstiftung zu gründen, die Solidarität mit noch zu suchenden Opfern übt.
Allerdings braucht es dafür immer noch die von Philipp Hildebrand erwähnten Änderungen von Verfassung und Gesetz, die «in den achtziger und den frühen neunziger Jahren das politische Klima noch nicht zuliess». Pflichtschuldig fordert 1997 die Wirtschaftskommission des Nationalrats einen neuen Geld- und Währungsartikel in der Bundesverfassung, 1998 reicht der Bundesrat seine Botschaft nach. Das Parlament zerstreitet sich allerdings bei der Behandlung des Geschäfts; die Bürgerlichen halten aus Respekt vor dem Stimmvolk an der Golddeckung fest, der Ständerat fordert zwei Drittel der «überschüssigen» Reserven für die Kantone – fünf Jahre später ergiesst sich dieser Geldsegen tatsächlich über das Land. In der Schlussabstimmung fällt der Verfassungsartikel durch, er kommt also gar nicht vors Volk.

Ins Schleudern geraten

Aber gleichzeitig läuft noch die Totalrevision der Bundesverfassung. Der Bundesrat und seine Sprachrohre im Parlament wie der freisinnige Ständerat René Rhinow oder die Nationalräte Samuel Schmid (SVP) und Joseph Deiss (CVP) verharmlosen sie zwar als blosse «Nachführung», die die Verfassung nur von veralteten Bestimmungen entrümple und mit längst gelebtem Recht erfülle. Doch da lässt sich – neben den Grundsätzen zu den Menschenrechten und zum Völkerrecht, die später zu heftigen Debatten führen – unauffällig eine Bestimmung hineinschmuggeln, die keineswegs die immer noch geltende Verfassung von 1874 «nachführt», sondern sie umbiegt: Die Pflicht der Nationalbank, vierzig Prozent ihrer Reserven in Gold zu halten, soll fallen.
Bei der Kommissionsberatung habe er die Frage gestellt, sagt Ulrich Schlüer (SVP) im April 1998 im Nationalrat, «weshalb im Entwurf zur neuen Verfassung der Hinweis auf das Gold, den wir in der alten Verfassung haben, nicht mehr enthalten ist». Und er habe damit «ein Erdbeben ausgelöst» (was andere Redner bestätigen). Der SVP-Nationalrat hält fest, von der Verwaltung – «sie ist in diesem Zusammenhang eigentlich aus meiner Sicht das einzige Mal im Verfassungsberatungsverfahren auf eine Frage hin wirklich ins Schleudern geraten» – habe er die Auskunft bekommen, mit dem Beitritt zu den Bretton-Woods-Institutionen sei es der Schweiz gar nicht mehr gestattet, in der Verfassung einen Hinweis auf die Golddeckung aufzuführen: «Das hat Unruhe ausgelöst, weil man einwandfrei feststellen konnte, dass in den seinerzeitigen Unterlagen für die Volksabstimmung von diesem Umstand auch nicht mit einem einzigen Wort die Rede gewesen war.»
Auch der Liberale Jean-François Leuba weist auf die Mauschelei hin: «Mit dem Artikel 89 [zur Währungsverfassung] hat der Bundesrat keine völlig korrekte Nachführung gemacht. Aber ich glaube, diese Dreistigkeit lässt sich vertreten, weil wir ja nur den Zustand festhalten, wie er heute ist.» Das heisst: Bei der Totalrevision der Bundesverfassung, die gemäss heutiger dreister Auslegung den Vorrang des Völkerrechts vor dem Landesrecht festschreibt, hält das Parlament einen Zustand fest, mit dem die Schweizerische Eidgenossenschaft einen der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge, das Abkommen von Bretton Woods, vermutlich verletzt und sicher zwischen 1992 und 1999 verletzt hat.
Die Frage, was es damit auf sich hat, lässt sich in der Debatte nicht klären. «Der Internationale Währungsfonds verbietet die Bindung des Geldwertes an das Gold», meint Bundesrat Arnold Koller (CVP). «Der Währungsfonds verbietet aber nicht die Reservehaltung in Gold; das ist der zentrale Unterschied.» Auch der Justizminister wirbt für das Gold, denn ein ausreichender Goldbestand solle «der Schweiz die Möglichkeit eines allfälligen Beitrittes zur Europäischen Währungsunion offenhalten». Das sei Schlüer «vielleicht etwas weniger lieb».

Warum steigt der Goldpreis?

Das Verbot für die Nationalbank, ihr Gold zu verkaufen, fällt schliesslich wie bestellt. Am 18. April 1999 nimmt das Volk bei einer Stimmbeteiligung von nur 36 Prozent die neue Bundesverfassung an, immerhin zehn von dreiundzwanzig Ständen lehnen sie allerdings ab. Bis Ende Jahr peitscht die Politik das neue Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel durch, am 1. Mai 2000 tritt es ohne Referendum in Kraft. Am gleichen Tag startet die Nationalbank ihre Verkäufe, an jedem Handelstag wirft sie eine Tonne Gold auf den Markt. Und dennoch steigt der Goldpreis an. Warum?
Als die Schweizer 1997 die Welt mit der Nachricht verblüffen, sie wollten ihr «überschüssiges» Gold abstossen, macht der Markt, was er angesichts des drohenden Überangebots machen muss: Er bricht ein. Von 1997 bis 1999 verliert das Gold in Dollars ein Drittel seines Werts, die Schweizer fürchten bereits, sie könnten ihren Schatz nur noch verhökern. Am 26. September 1999 schliessen deshalb elf Staaten, die Gold verkaufen wollen, das Washingtoner Abkommen – ohne die USA, die nicht daran denken, sich von ihrem Gold zu trennen. Bis im Sommer 2004 dürfen die Staaten insgesamt 2000 Tonnen Gold verkaufen, mehr als die Hälfte davon, 1170 Tonnen, entfällt auf die Schweiz.
Warum sackt der Goldpreis nicht weiter ab, sondern setzt zu einer Hausse an, als die Schweizer im Mai 2000 ihren Staatsschatz endlich auf den Markt werfen dürfen? Markus M. Müller bietet auf seinem Blog eine plausible Erklärung an: «Na klar! Das Gold wurde ja schon vorher von der Fed verkauft. Nun musste nur noch die Bilanz mit den Staaten ausgeglichen werden. Also auch kein Druck mehr auf den Goldpreis.» Er meint: Die Amerikaner erwerben ab 2000 offiziell das bei ihnen gelagerte Schweizer Gold – wohl genau die 1170 Tonnen gemäss Washingtoner Abkommen –, das sie längst verkauft haben. Im Fragenkatalog auf ihrer Website schreibt die SNB, sie lagere «seit über zehn Jahren» (man rechne!) nur noch Gold in Grossbritannien und in Kanada, dort sei der Immunitätsschutz gewährleistet. Für die USA gilt das offenbar nicht.
Diese Theorie – die sich inzwischen empirisch erhärten lässt – steht im 2001 in New York erschienenen und heute noch vielgelesenen Buch «Gold Wars. The Battle Against Sound Money as Seen From a Swiss Perspective» des 2005 verstorbenen Bankiers Ferdinand Lips. Als Schweizer Bürger habe er die Aufgabe des Goldschatzes als «Verrat» empfunden, schreibt der Zürcher, der vor der Gründung seiner Bank Lips in der jüdischen Rothschild Bank Karriere machte: «Einige ausländische Masterplaner mit grandioser Expertise und brillanter Taktik müssen die Schweizer Notenbanker zu diesem Vorgehen überredet haben – einer Gaunerei, die die Strategie-Denker Clausewitz und Sun Tzu stolz machen würde.» Er geisselt die Milliardenzahlungen der Schweizer Grossbanken wegen der nachrichtenlosen jüdischen Vermögen: «Die Schweizer hätten sich nicht dazu nötigen lassen, wenn die Regierung, das Parlament, die Nationalbank und die Grossbanken verstanden hätten, weshalb es wirklich zu dieser Lügenkampagne kam.»

«Ich stehe noch zu jedem Wort»

In einem Artikel von 2002, in dem die Weltwoche Ferdinand Lips seine These erläutern lässt (Weltwoche Nr. 36/02), kommt auch der Chef-Markttechniker der Credit Suisse zu Wort. Rolf Bertschi sieht «Signale so deutlich wie Ende der sechziger Jahre»: Der Goldpreis schoss damals bis 1980 von 35 auf 850 Dollar hoch. Bei einem Preis von 310 Dollar sagt der Experte deshalb voraus: «Mittelfristig kann der Unzenpreis durchaus 400 bis 500 Dollar erreichen.» So kommt es: Im März 2005, als die Nationalbank ihre Goldverkäufe abschliesst, steht der Unzenpreis bei 420 Dollar – danach steigt er bis im September 2011 weiter auf 1900 Dollar.
«Die Frage drängt sich auf: Weshalb stösst die Schweizerische Nationalbank als einzige ihren Staatsschatz trotz des absehbaren Wertzuwachses weiterhin ab? Und wieso fing sie überhaupt damit an?», rätselte die Weltwoche im Artikel von 2002: «Solche Fragen prallen unbeantwortet an den Mauern der Nationalbank ab.» In seinem Referat in Washington von 2005 preist Philipp Hildebrand das Glück und das Geschick der Nationalbank, die mit ihren Verkäufen über dem jeweiligen Marktpreis einen Durchschnittspreis von 351 Dollar erzielt habe – insgesamt 21,1 Milliarden Franken. Die verscherbelten 1170 Tonnen Gold wären heute, nachdem der Goldpreis seit 2011 um ein Drittel eingebrochen ist, 44 Milliarden wert.
Der Fed-Vorsitzende Alan Greenspan kann über seinen unerfahrenen Schweizer Kollegen nur lächeln. Er hat 1966 in einer berühmten Schrift erklärt, wie Gold und ökonomische Freiheit zusammenhängen. Und er hat 2001 in einer Kongressanhörung bekräftigt: «Ich stehe noch zu jedem Wort.»